Warum die Occupy-Bewegung ägyptischen Aktivisten helfen muss.
Was haben die Occupy-Demonstranten mit den ägyptischen Revolutionären gemeinsam? Mehr, als man bislang angenommen hat: Die westliche Bewegung könnte jetzt der arabischen helfen. Und umgekehrt.
In einem dramatischen Appell haben sich ägyptische Aktivisten an diejenigen gewandt, die sich für ihre westlichen Gesinnungsgenossen halten. In dem Schreiben, das die britische Zeitung The Guardian veröffentlichte, bitten sie die Occupy-Bewegung um Beistand, weil sie Verhaftungen, Unterdrückung und Folter durch die Militärregierungen befürchten. »Wir wissen, dass wir die Welt mit unserem Protest im Januar inspiriert haben«, flehen sie. »Jetzt seid ihr an der Reihe.«
Die Bitte überrascht. Zwar sind die jungen arabischen Freiheitsbewegungen ein gern zitiertes Vorbild für Occupy; Demonstranten in Amerika, in Griechenland, Spanien und Israel haben sich auf den Arabischen Frühling berufen. Sie beschworen den »Tahrir-Moment« , als könnte das, was einen historischen Aufbruch markierte, ihre Länder anstecken.
Doch die, die nun an der Reihe wären, sie tun noch nichts. Occupy reagiert mit Bestürzung, Solidaritätsbekundungen – aber die Massenproteste bleiben aus. Derzeit verschanzen sich die Demonstranten in ihren Zelten und hoffen, den Winter zu überstehen. Doch sie übersehen, dass die Bitte aus Ägypten zu ihrer großen Chance werden könnte.
Mehr als westliche Wohlstandswerte
Vermutlich wussten die Occupy-Demonstranten von Beginn an selbst am besten, dass ihr Vergleich mit der Tahrir-Revolution nicht recht passen wollte. Die Ägypter kämpften gegen einen Despoten und forderten, was im Westen eine Selbstverständlichkeit ist: Demokratie, Meinungsfreiheit, ein wenig Wohlstand. Occupy hat das alles. Und möchte ein anderes System , noch mehr Demokratie und eine irgendwie bessere Welt. Dafür wurden sie belächelt. Nun könnten sie zeigen, dass sie für mehr stehen als westliche Wohlstandswerte.
Da ist Alaa Abdel Fattah, einer der bekanntesten ägyptischen Blogger, der kürzlich verhaftet wurde. Er hatte im Oktober eine Demonstration der koptischen Christen unterstützt und die Gewaltbereitschaft der Armee angeprangert. Da ist Maikel Nabil Sanad , der früher den Despoten Hosni Mubarak kritisiert hatte und nun wegen militärkritischer Äußerungen zu drei Jahren Haft verurteilt worden ist. Im Gefängnis ist er in den Hungerstreik getreten. Wo sind die Massenproteste dagegen in Madrid, Berlin, London?
In ihrer Unfähigkeit zu handeln, zeigt sich die größte Schwäche der Occupy-Bewegung. Ihre Empörung beschränkt sich auf Forderungen, die auch nach wochenlangem Zelten weder klarer noch erfüllbarer geworden sind: den Kampf gegen den Kapitalismus, gegen die Banken, gegen »das System« . In den Gruppen muss jeder Grundsatz, jedes Ziel ausdiskutiert werden. Und während die Diskussionen laufen, verkommt das aktuelle Weltgeschehen zur Randerscheinung. Die Bewegung weiß vom Schicksal der ägyptischen Jugend, ihrer selbst erklärten Brüder, aber sie zeltet einfach weiter.
Abdel Fattah und Nabil waren wichtige Figuren der arabischen Revolution, sie halfen, Mubarak zu stürzen. Occupy war nie so mächtig wie die arabische Jugendbewegung – und nie so notwendig. Dennoch teilt sie Wichtiges mit ihnen: das Gefühl der Ohnmacht und den Wunsch nach Gerechtigkeit. Darum reisten ägyptische Blogger nach Washington und New York, um die dortigen Demonstranten zu unterstützen. In Kairo zogen sie vor die US-Botschaft, nachdem amerikanische Demonstranten von der Polizei verprügelt worden waren. Nun ist Zeit für Occupy, etwas zurückzugeben. Für einen Moment sollten sie Finanzmärkte und Bankenregulierung als das sehen, was sie sind: wichtig, aber nicht lebenswichtig.
Die Revolutionen brauchen einander
Statt in provinziellen Zeltstädten zu frieren , sollten sich die Demonstranten auf ihren anfänglichen Erfolg besinnen: den international vernetzten Protest, der nun die Occupy-Bewegung neu beleben könnte. Sie braucht ein Großereignis, um der eigenen Stagnation zu entkommen. Ihr Eintreten für Ägypten würde zeigen, dass sie für Werte steht. Und sich politisch einmischen will.
Auch deshalb beschwören die ägyptischen Aktivisten die Bande, zur weltweiten Protestbewegung zu werden. »Wenn sie es schaffen, unseren Widerstand zu ersticken, dann wird das eine Prozent gewinnen – in Kairo, New York, London, Rom – überall«, heißt es in ihrem Appell. Das eine Prozent – diese Formulierung haben sie von Occupy übernommen. In den USA ist es die reiche Oberschicht. In Ägypten ist es das Militär . Die jugendlichen Revolutionsbewegungen brauchen einander. Für die Occupyer ist es Zeit, außerhalb der Grenzen ihrer Zeltstädte zu denken.